Adipositas Blog

der Adipositas Stiftung Deutschland

Think big!

Veröffentlicht am 28. Mai 2009 von

Plädoyer gegen eine Politik der kleinen Schritte im Kampf gegen die weltweite Adipositasepidemie

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Instituts der Lebensmitteltechnologen der Amerikanischen Gesellschaft für Ernährung und des Internationalen Rates für Lebensmittelinformation schlägt zur Lösung des weltweiten Adipositasproblems einen globalisierten „Ansatz der kleinen Schritte“ vor. Da die Adipositasraten weltweit auf Grund langsamer Gewichtszunahmen in den meisten Populationen zunehmen und bisherige Versuche, über Lebensstiländerungen eine Abnahme herbeizuführen, erfolglos geblieben seien, so die Arbeitsgruppe, sollte derzeit eine Gewichtsabnahme nicht weiter angestrebt werden. Als Alternative schlägt die Arbeitsgruppe vor, nur kleine Veränderungen in der Nahrungszufuhr und der körperlichen Aktivität zu fördern, die zwar hinter den derzeitigen Empfehlungen von Experten zurückblieben, aber ausreichend sein könnten, weitere Gewichtszunahmen bei Individuen und Populationen zu vermeiden. Auf diese Weise könnten die Adipositasraten „stabilisiert“ werden und in der Folge langsam absinken.

Dieser „Weg des geringsten Widerstands“ ist in seiner Wirksamkeit nicht nur hoch spekulativ – er wird auch den komplexen Ursachen der globalen Adipositasepidemie nicht ansatzweise gerecht und kann daher keinen Durchbruch in der Problemlösung darstellen, dieser Meinung sind Prof. Dr. med. Manfred Müller, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und Neville Rigby, früherer Direktor für Politik und Öffentlichkeitsarbeit der Internationalen Adipositas-Gesellschaft (IASO). Zudem  setze die „Politik der kleinen Schritte“ die Akzeptanz der bereits sehr hohen weltweiten Adipositaszahlen als eine neue „stabilisierte Norm“ voraus, mitsamt aller Konsequenzen im Hinblick auf die einhergehenden Folgeerkrankungen. Weitaus größere und mutigere Schritte seien hier nötig, so die Adipositasexperten.

Adipositas betreffe den Kern unseres Lebensstils als Individuen und die Art und Weise, wie wir unsere Angelegenheiten als Gesellschaften regeln, daher müssten seriöse Lösungsansätze  die „Ursachen der Ursachen“ angehen, sich also mit der eng verwurzelten Beziehung zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheit auseinandersetzen. Als Beleg verweisen die beiden Adipositasexperten auf die Bedeutung von Migrationsbewegungen für sich verschlechternde Gesundheit und zunehmende Adipositasraten mit zunehmender Landflucht und Adaptation eines städtischen Lebensstils in Südafrika, China, Russland und einigen Staaten des Mittleren Ostens.

Auch Genderaspekte spielten eine Rolle. Der Zusammenhang zwischen Adipositas,  Gesundheit und sozioökonomischen Ungleichverteilungen betreffe in manchen Ländern insbesondere die Subgruppe der Frauen.

Trotz des chronischen Versagens, das Problem der Unterernährung in der Welt zu besiegen, nehme die durchschnittliche Energieaufnahme in den Populationen der meisten Länder zu und dieser Trend werde voraussichtlich anhalten. Eine grundlegende Neubewertung des Begriffs der Nahrungsmittelqualität, wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits in der Strategie zum Kampf gegen das weltweite Übergewicht vorgeschlagen, sei daher unumgänglich.

Müller und Rigby kritisieren weiter, dass die globalisierte Nahrungsmittelindustrie aus Marketinggründen zwar geringfügige Modifikationen der Nahrungsmittel im Hinblick auf gesundheitliche Zusatznutzen (Health Claims) vorangetrieben hat und nun daran interessiert sei, neue Märkte mit „gesunden“ Lebensmitteln zu erschließen – die grundlegende ernährungsphysiologische Qualität als einen wesentlichen Einflussfaktor einer adipogenen Umwelt aber unangetastet lasse. Fortgesetzt werde suggeriert, es gäbe keine „ungesunden“ Nahrungsmittel, und „alles geht“, solange diese „im Rahmen einer ausbalancierten Kost“ verzehrt würden.

Gerade unter dem Druck der aktuellen Finanzkrise und der Notwendigkeit, neue Absatzmärkte zu erschließen, seien die in schneller ökonomischer Entwicklung befindlichen asiatischen Populationen besonders gefährdet, mit hochkalorischen Lebensmitteln geringer ernährungsphysiologischer Qualität „westlichen“ Stils überschwemmt zu werden.

Diesen Ländern im Sperrfeuer westlicher Marketingstrategien „kleine Schritte“ im Kampf gegen das Übergewicht anzuempfehlen, grenze an Zynismus.

Im Nahrungsmittelsektor mahnen die Adipositasexperten vorrangig auch eine größere Verantwortlichkeit im Umgang mit Marketingstrategien an. Hier unterminiere der Vorschlag der „kleinen Schritte“ die bisher erreichten Fortschritte zur Sensibilisierung von nationalen und internationalen Entscheidungsträgern und den zunehmend weltweit aufgebauten Druck im Hinblick auf Aktivitäten zur Unterbindung von Werbung für Junk Food und Softdrinks für Kinder und Jugendliche („Sydney Prinzipien“ der Internationalen Adipositas-Arbeitsgruppe IOTF/IASO und des Weltverbraucherverbandes CI). Hier werden grenzübergreifende Werbeverbote und globale Regelungen vorgeschlagen, die auch neue Medien einschliessen und vor allem Kinder in allen Teilen der Welt schützen sollen.

Gemäß der WHO Kommission „Soziale Determinanten von Gesundheit“ verweisen Müller und Rigby auf die bleibende Herausforderung, zur Lösung des globalen Adipositasproblems mit den vielfältigen Sektoren außerhalb des Gesundheitssektors ins Gespräch zu kommen und zu interagieren: vorrangig mit dem Handel, der Landwirtschaft, dem Sektor Beschäftigung, und dem Bildungswesen.

Kleinschrittige Ansätze seien nur geeignet, das Problem zu vergrößern und zu verschlimmern. Zur Lösung des weltweiten Adipositasproblems gebe es keine Alternative zu nationalen und grenzübergreifenden politischen Strategien, so Müller und Rigby.

Kommentare sind geschlossen.

Suche


Links

Unsere Partner

Lesetipps

Unsere Empfehlung